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Volle Fahrt voraus aufs Ijsselmeer

Diesen Sommer hat sich das Trio aus Jens, Tim und mir dazu entschieden, zwei Wochen lang gemeinsam auf einer zehn Meter langen Nussschale zu verbringen. Unser Ziel? Das IJssel- und Wattenmeer vor Holland unsicher zu machen. Nachdem wir unsere Taschen gepackt hatten und mit dem Auto zur Marina, wo das Boot uns erwartete, angereist waren, konnten wir uns schon einmal darauf einstimmen, was uns die nächsten zwei Wochen erwarten würde. Wir verbrachten die erste Nacht noch in Zeewolde, unserem Heimathafen auf der Frietz, bevor wir recht früh aufbrachen, voller Vorfreude die Segel setzten und in Richtung IJsselmeer segelten.

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Aufbruch

Unser Weg am ersten Tag führte uns durch das Veluwemeer und die Randmeere, entlang verstreuter kleiner Inseln, die uns in entfernter Art und Weise an unser Heimatrevier in Haltern erinnerten. Wir hatten anfangs günstigen Wind mit drei bis vier Windstärken, welcher dafür sorgte, dass wir auf Vorwindkurs im Schmetterling segeln konnten. Allerdings hielt dieses Glück nicht lange an: Der Wind flaute ab, drehte um 180 Grad, und plötzlich konnten wir nichts anderes tun, als die Segel zu bergen und den Motor anzuschmeißen, um ein gutes Stück lang zu motoren. Zusätzlich zu diesem Winddreher kam dann schließlich auch noch eine ordentliche Prise Regen, die uns schon einmal auf das vorbereitete, was uns in den folgenden zwei Wochen erwarten würde.

Nichtsdestotrotz querten wir einige Schleusen und Brücken auf unserem Weg, bevor wir unter der Ketelbrug final ins IJsselmeer hinüberfahren konnten. Das letzte Stück dieser Überfahrt gestaltete sich allerdings als größte Schwierigkeit des ganzen Urlaubs. Der Wind zwang uns, einen Amwindkurs zu fahren, während die Wellen mit 1,10 m Amplitude und relativ hoher Frequenz gegen unseren Bug donnerten, sodass das Boot trotz Kiels mächtig ins Schwanken und Wanken kam. Auch der Wind hatte zugenommen: Statt der gemütlichen drei bis vier Windstärken herrschten nun plötzlich sieben bis acht und teilweise sogar Böen im stürmischen Bereich. Unter absolut gerefftem Segel und halber Genua kämpften wir uns also gegen diese brachiale Gewalt an und schafften es tatsächlich, die verbliebenen sechs Seemeilen bis nach Urk zu fahren.

Entsprechend groß war die Erleichterung, als wir es endlich geschafft hatten, im Päckchen festzumachen, den atemberaubenden Sonnenuntergang zu bewundern und voller Erschöpfung in unsere Bug- und Heckkojen fallen zu können. Es war ein erster, eher abschreckender Anreisetag – vor allem für unseren Nichtsegler Tim. Es sollte jedoch mit Abstand der schwierigste Teil gewesen sein.

Am nächsten Tag stand der Wind ähnlich, hatte aber etwas auf fünf bis sechs abgeflaut, sodass wir versuchten, hoch am Wind entlang durch das Ijsselmeer zu kreuzen, um Strecke in Richtung Norden zu machen. Doch der Abdrift, die gegenströmenden Wellen und die schweren Windbedingungen zwangen uns ab einem gewissen Punkt, die Segel erneut zu bergen und wieder unter Motor zu fahren. Unter den Bedingungen wäre es nicht möglich gewesen, vor Sonnenuntergang unseren Hafen in Den Oever zu erreichen. Dies trübte ein wenig die Stimmung – vor allem, weil wir zu Beginn unserer Reise bereits so viele Meilen unter Motor sammelten. Aber gegen das Wetter ließ sich nichts machen.

Mit einem weiteren bezaubernden Sonnenuntergang über der Nordsee verabschiedete sich auch der zweite anstrengende Tag unserer Etappe. Insgeheim hofften wir, dass die kommenden zwei Wochen nicht so weitergehen würden.

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Die Inseln

Am nächsten Morgen mussten wir wegen der einsetzenden Ebbe unsere müden Knochen mobilisieren, das Schiff klarmachen und ablegen. Das auslaufende Wasser konnte uns bei der Überfahrt nach Texel unterstützen. Der Wellengang der ersten Tage hatte gnädigerweise weiter abgenommen und war auf ein erträgliches Maß geschrumpft. Bei dem Eiland angekommen, fuhren wir in den überfüllten Hafen ein, hatten jedoch trotzdem noch Glück, einen Platz zu ergattern.

Wir schlenderten durch die Straßen Oudeschilds, genossen eine Tasse Kaffee und genehmigten uns Snacks wie Kibbeling, bevor wir weiter in das Innere der Insel vorstießen – bis hin zur exklusiven Texels-Brauerei. Die Sonne brannte unentwegt an diesem heißen Mittag, und wir erfrischten uns an der Brauerei unter dem gemütlichen Schatten einiger Schirme. Hinter uns die Brauerei – vor uns die Insellandschaft mit ihren Sträuchern, kleinen Bäumen, Feldern und Schafen.

Die Ruhe nach der Überfahrt kam uns gut gelegen. Wir fingen an, uns wohler zu fühlen und besser auf dem Schiff zurechtzufinden. Die Manöver wurden mit zunehmender Zeit immer besser, und man sah deutlich eine Entwicklung hin zu einer festen Routine. Abends gesellten wir uns noch an Deck mit einer Handvoll Karten oder zogen uns nach unten in das Schiffsinnere zurück, um dort einige Brettspiele zu spielen.

Am nächsten Tag lockte es uns weiter nach Harlingen, unserem Tagesziel vor der Überfahrt nach Terschelling. Von der geplanten Strecke schafften wir es, einen guten Teil zu segeln, mussten jedoch aufgrund der Fahrwasserbreite und der immer drohenden Sandbänke irgendwann den Motor anschmeißen und die letzten Meilen bis zum Hafen motoren.

Wir entschieden uns, in den Stadthafen hineinzufahren, um dort zu übernachten – was sich als äußerst schwierig herausstellte. Eine beträchtliche Anzahl an Booten hatte sich vorgenommen, zur exakt gleichen Uhrzeit aus dem Hafen auszulaufen, wie wir hineinfahren wollten. Es gab ein heilloses Durcheinander im Hafenbecken: Schiffe, die versuchten abzulegen, ohne andere zu rammen, und andere, die an ebensolche Liegeplätze heranfahren wollten.

Nach diesem erstaunlichen Hafenkino – das im Nachhinein tatsächlich reibungslos funktionierte, ohne eine einzige Kollision – machten wir uns auf den Weg, die pittoreske Altstadt zu erkunden. Harlingen bot vermutlich – aus touristischer Sicht – die größte Fülle an Kultur im Vergleich zu den bisherigen Hafenstädten, die wir gesehen hatten. Die Altstadt war gesäumt von kleinen Häusern, engen Gassen, Kanälen und Zuläufen. Wir besuchten das Heimatmuseum, das uns ein wenig die Geschichte der Stadt und auch die Geschichte der Niederlande vor der Errichtung der Deiche darlegte. Die Bedeutsamkeit der Schifffahrt, insbesondere der Plattbodenboote auf dem Wattenmeer, wurde uns hier deutlich bewusst – eine Geschichte, die, wenn man so will, bis heute Bestand hat.

Durch neugierige Sperlinge geweckt, ging es mit rasanter Geschwindigkeit hinüber zu unserer zweiten Insel. Schon von weitem erkannten wir den markanten Leuchtturm, der architektonisch zwar keine Schönheit ist, jedoch gut sichtbar und mit hoher Tragweite den Weg zum Hafen wies. Wir kamen kurz vor Niedrigwasser an, machten in einer Box fest und begaben uns sofort zu den Dünen und dem Wattenbereich. So erkundeten wir die Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs in den Dünen – übriggebliebene Betonbunker, die sich tief in den Sand gruben – und gingen schließlich weiter auf das platte Watt hinaus.

Der Segelbetrieb hatte enorm zugenommen, und man konnte viele Plattbodenschiffe wie an einer Schnur aufgereiht zwischen Terschelling und dem Festland hin und her fahren sehen. Einige dieser Boote entschieden sich sogar dazu, trockenfallen zu lassen – was ein wunderschönes Bild der stolzen alten Schiffe in der endlosen Weite des flachen Watts ergab.

Allerdings standen wir abends vor einem Problem: Die Wettervorhersage kündigte für die kommenden Tage zunehmenden Wind und Wellengang an, was in Kombination mit den Gezeiten dazu führte, dass wir es schwer haben würden, weiter auf dem Wattenmeer zu bleiben. Wir mussten uns entscheiden, ob wir es gegen die Strömung und gegen den Wind versuchen wollten – oder aber wieder zurück ins IJsselmeer fahren sollten. Schweren Herzens rangen wir uns dazu durch, zurückzufahren und die Inseln hinter uns zu lassen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass diese Entscheidung auch die richtige gewesen war – allerdings konnten wir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen. Wir machten uns also in einem Pulk von etwa 50 anderen Segelbooten von den Inseln aus in Richtung IJsselmeer auf. Den Großteil schafften wir zu überholen und trafen früh in Makkum ein.

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Hinter dem Abschlussdeich

Durch das Wetter bedingt, schwenkten wir auf unseren neuen Plan um, die einzelnen Städte im IJsselmeer abzuklappern. Von Makkum aus setzten wir hinüber nach Medemblik. Kurz vor dem Ziel verabschiedete sich jedoch unser Großschottraveller und zerlegte sich in seine Einzelteile. Wir hatten Glück im Unglück: Keine der Schrauben brach, und wir konnten fast alle Kugeln für das Lager einsammeln. Wir waren wieder im Spiel – jedoch stets mit einem Misstrauen dem Traveller gegenüber.

In Medemblik beobachteten wir die Weltmeisterschaften der Formula-16-Katamarane und segelten anschließend in einem Schlag nach Stavoren hinüber. Das Wetter gestaltete sich als Geduldsprobe, da sich die gleißende Sonne im Stundentakt mit Starkregen abwechselte.

Schneller neigte sich die Urlaubszeit dem Ende zu, als uns lieb war, und wir kamen wieder in Urk an, von wo aus wir vor circa zehn Tagen gestartet waren. Schweren Herzens verbrachten wir den letzten Abend auf dem Ijsselmeer mit einem wunderschönen Sonnenuntergang. Mit abnehmendem Wind ging es durch die Randmeere zurück nach Zeewolde. Schon war der Urlaub vorbei. Was geblieben ist, sind unbeschreibliche Erinnerungen an den Wind im Gesicht, die Sonne im Nacken und das plätschernde Wasser am Rumpf des Bootes.